Sonntag, 17. Mai 2009

kurzer Zwischenstand

Vergangenen Monat war meine Mutter für gut zwei Wochen zu Besuch hier bei mir. Ihre Verabschiedung „Bis bald!“ machte es einmal wieder klar: Meine Zeit hier in Lahore neigt sich dem Ende zu.

Meine Mama über Lahore

Es bleibt mir noch ein halber Monat Unterricht, bis die Ferien beginnen, danach ein dreiwöchiges Feriencamp für unsere höheren Klassen, bis ich gemeinsam mit Rasmus, einem anderen deutschen Freiwilligen aufbrechen werde, um den Norden unseres Nachbarlandes Indien, sowie Nepal für gut einen Monat zu erkunden. In mir entsteht langsam ein Endspurts-Gefühl, ich mache viel - das gefällt mir. Ich fühle mich gut ausgefüllt und kann das Leben hier gerade sehr genießen. Erst gestern veranstalteten wir, die im Gemeinschaftshaus zusammen wohnen, ein Fest auf unserem Dach... Öllampen, lange Gespäche, gutes deutsch-pakistanisches Essen, alte indische Schlager, ein riesiger Sternenhimmel über uns und die angenehme Sommernacht um uns herum.

Von einem kleinen grünen Bäumchen im pakistanischen Bildungsdschungel

Jeder, der sich irgendwie dazu berufen fühlt, kann in Pakistan eine Schule gründen. Dies, verbunden mit der Tatsache, dass der Staat keinen einheitlichen Lehrplan vorgibt, hat dazu geführt, dass man hier heute einen Bildungsdschungel vorfindet, der sich in verschiedene Schulformen einteilen lässt. Der Staat bietet Schulen in unterschiedlichen Preisklassen, die jeweils von der entsprechenden Gesellschaftsschicht besucht werden. In den teuren staatlich geführten Schulen werden die Kinder der pakistanischen Mittelschicht von Lehrern mit höheren Bildungsabschlüssen fast rein intellektuell stark herausgefordert. Wer weniger Geld zur Verfügung hat, muss sich mit schlechter ausgebildeten und oft weniger motivierten Lehrern, sowie dürftig ausgestatteten Schulen, zufrieden geben. Was private Initiativen betrifft, so findet man einmal jene Schulen, für die die Kinder der reichen Bevölkerung Pakistans teure Eintrittskarten in Form von Schulgebühren zahlen müssen, die teilweise dem Gehalt eines Sozialarbeiters entsprechen, nämlich etwa 80 Euro pro Monat. Diese Eintrittskarte bietet nicht nur eine massive Schulbildung, sondern ermöglicht ihnen auch den Verbleib in dem aus Kontakten aufgebauten Kreis der Oberschicht. Gleichzeitig entstehen auch immer wieder reichlich verschiedene Formen von NGO-Schulen, die sich meist als gemeinnützige, durch Spenden finanzierte Institutionen die Bildung der armen Kinder zur Aufgabe gemacht haben.

Ali Hassan und Ahsan aus unserer vierten Klasse

Meinen Beobachtungen und Erfahrungen nach haben die meisten dieser Schulen, die sich in Preis, Ausstattung und Ansehen so sehr von einander unterscheiden, jedoch eine entscheidende Gemeinsamkeiten: Die in Pakistan üblichen Lehrmethoden wurden selbstverständlich von Erwachsenen entwickelt, wobei diese dabei offensichtlich von ihrer abstrakt-intellektuellen Art zu denken ausgehen, anstatt sich an der Entwicklung und den Bedürfnissen der heranwachsenden Kinder zu orientieren. Es entstand dadurch ein System, in dem es als gut und richtig gilt, Vierjährigen das Alphabet (Urdu sowie Englisch) beizubringen, Sechsjährigen den Nachmittag mit fünf Stunden Hausaufgaben zu füllen und Fünftklklässler im Physikunterricht englische Definitionen auswendig wiedergeben zu lassen, deren Satzstruktur sie oft nicht einmal verstehen. Dazu kommt, dass diese Leistungen in vielen Fällen unter großem Druck eingefordert werden, der zumeist mit Drohungen, Stock oder Lineal auf sie ausgeübt wird.

Schüler der fünften Klasse im Matheunterricht

In diesem pakistanischen Bildungsdschungel wurde 2007 am Rande der Großstadt Lahore unsere Green Earth Roshni School gegründet, in der heute etwa 100 Kinder zwischen Kindergarten und sechster Klasse von acht Lehrerinnen täglich unterrichtet werden. Eine von ihnen bin wie ihr wisst ich. Gegründet von Shahida Perveen-Hannesen, einer Pakistanerin, die lange Zeit in Deutschland und England lebte, soll dieses noch junge Bäumchen den Dorfkindern eine Chance bieten, sich hier ihrem Alter angemessen, sowohl intellektuell, als auch kreativ zu entwickeln. Die Ideen der Waldorfpädagogik bieten den Rahmen dazu, so dass im Stundenplan sowohl die gängigen Fächer wie Mathematik, Englisch und Urdu, als auch Handarbeit, Gartenbau und Musik ihren Platz finden.

Alina und Sehar in unserer kleinen Bibliothek

Neben Englisch in der vierten und fünften Klasse ist es nun auch meine Aufgabe, den Musikunterricht an unserer Schule zu gestalten. Die älteren Schüler lernen englische und Urdu-Lieder auf der Flöte und mit der zweiten Klasse verbringe ich wöchentlich zwei Stunden mit dem Spiel auf Kinderharfen, die uns eine deutsche Schule geschenkt hat. Diese pentatonischen, also für Laienhände leicht spielbaren Saiteninstrumente schaffen es offensichtlich Woche für Woche erneut, die Kinder in eine wunderbar ruhige Stimmung zu versetzen, die ganz klar eine Ausnahme in ihrem sonst so lauten und hektischen Alltag bildet. In dieser Besinnlichkeit kommen sie zu sich und haben immer wieder große Freude an ihrer eigenen Musik.

Die Kinder lernen hier, dass ihr eigenes, kreatives Tun Erfolgserlebnisse mit sich bringen kann. Das Auswendiglernen von Texten hingegen entwickelt weder Verantwortungsbewusstsein, noch Selbstbewusstsein und schon gar nicht bringt es den Kindern, Freude am Erkunden ihrer Welt. Genauso wenig hilft früher Druck, aufrecht im Leben stehen zu können.

Meinen Erfahrungen nach ist es aber genau die Förderung dieser Eigenschaften, die der pakistanischen Bevölkerung gut täte, was unsere Arbeit so wichtig und -inshallah- zukunftsweisend macht.